HEIDELBERG. Die Zeiten der scheinbaren Einzelgänger sind vorbei.
Mag Odysseus seine ganze Mannschaft kreuz und quer über das
Mittelmeer geführt haben - die Überlieferung rechnet ihm alleine
alle Heldentaten an. Ebenso brüteten große Denker wie Aristoteles,
Newton und Einstein nicht immer isoliert im stillen Kämmerlein an
ihren genialen Ideen, sondern sie tauschten sich mit Kollegen aus,
diskutierten zu zweien oder in Gruppen - und schrieben ihre Arbeiten
einzig unter dem eigenen Namen. Wie versprengte Lichtlein im Dunkeln
kommen uns diese Egos aus heutiger Sicht vor.
Inzwischen ist offene Teamarbeit angesagt. Ob Bundestrainer,
Filmemacher oder Wissenschaftler - Expertengruppen schaffen mehr als
Einzeltäter und gestehen jedem Teilnehmer ein Stück des Ruhmes zu.
Fragt sich nur, nach welchen Regeln eine Traummannschaft gebildet
wird. Denn die Erfahrung lehrt, dass weder eine Truppe
egozentrischer Spitzenkönner maximale Leistungen bringt, noch der
eingeschworene Kreis wenig kompetenter Freunde. Ein Forscherteam um
Roger Guimerà und Brian Uzzi von der Northwestern University wollte
genauer wissen, worauf es ankommt. Dazu analysierten die
Wissenschaftler die freie Bildung zeitlich befristeter Gruppen aus
Kunst und Wissenschaft, zwei Bereiche, in denen ein hohes Maß an
Können und Kreativität gefordert ist.
Als Beispiel für die Kunst mussten Produktionen von
Broadway-Musicals herhalten. 2258 Shows aus den Jahren 1877 bis 1990
werteten die Forscher aus. Sie stellten fest, dass in der Frühzeit
dieser neuen Unterhaltungsform noch relativ kleine Teams von
durchschnittlich zwei Personen ein Musical auf die Beine stellten.
Mit zunehmender Komplexität stieg diese Zahl allerdings an, bis sie
um 1930 einen womöglich optimalen Wert annahm. Seit mehr als einem
halben Jahrhundert sind im Mittel sieben Leute an der Entwicklung
eines Musicals beteiligt, mit speziellen Aufgaben wie Choreografie,
Komposition, Libretto und vieles mehr. Selbst große
gesellschaftliche Spannungen - immerhin fiel in den Zeitraum von
1930 bis 1990 der Zweite Weltkrieg - haben kaum an der stabilen
Siebenergruppe gerüttelt.

Eine ähnliche Entwicklung auf eine optimale Teamgröße ist in den
Wissenschaften entweder noch nicht abgeschlossen oder findet gar
nicht statt. Die Auswertung zahlreicher Veröffentlichungen in
wissenschaftlichen Zeitschriften lässt zwar einen Anstieg der
Gruppengröße erkennen, aber keine Sättigung. Dafür ist hier gut
zwischen Neulingen und alteingesessenen Mitgliedern der
Wissenschaftsgemeinde zu unterscheiden. Guimerà, Uzzi und ihre
Kollegen analysierten mit Werkzeugen der
Wahrscheinlichkeitsrechnung, wie sich Teams aus alt und jung
zusammensetzen. Dabei beachteten sie, dass jede Zusammenarbeit
gewisse Bande zwischen den Mitgliedern entstehen lässt. Man kennt
sich eben oder anders ausgedrückt: Es entstehen Seilschaften.
In der Simulation am Computer bildeten sich zunächst kleinere
Verbände aus, die gerne miteinander kooperierten. Je sicherer es
jedoch war, als erfahrenes Mitglied wieder in ein neues Team zu
gelangen, umso mehr Querverbindungen entwickelten sich, bis
schließlich jeder über ein paar Ecken jeden kannte. Dieser Effekt
ging umso schneller, je größer die Gruppen waren. Für Neulinge
bedeutet das: Am schwersten ist es am Anfang, ist man einmal drin,
läuft es fast von alleine.
Aber spiegelt die Simulation überhaupt das wahre Leben wider? Um
dies zu prüfen, unterzogen die Forscher ihr Datenmaterial den
gleichen Berechnungen. Tatsächlich passten Theorie und Praxis gut
zusammen. Mit einer Ausnahme: Astronomie. In dieser Teildisziplin
scheinen andere Mechanismen am Werke zu sein. Womöglich liegt der
Grund darin, dass astronomische Geräte wie Teleskope, Satelliten
oder Sonden extrem teuer sind und dementsprechend Messzeiten ein
knappes Gut. Notgedrungen teilen sich Astronomen darum Zeiten und
Daten, was zu ungewöhnlich großen Gruppen führt - eben typisch
astronomische Zahlen.
Insgesamt darf nun als mathematisch-wissenschaftlich gesichert
gelten, was intuitiv schon lange klar war: Ein erfolgreiches Team
braucht erfahrene Leute, die durch ihre Beziehungen weitere
hochkarätige Mitglieder werben, ebenso wie Neulinge mit
unkonventionellen Ansichten, damit sich das Denken nicht ständig im
Kreis dreht.
Was lehrt uns dies in Hinblick auf die Fußball-WM 2006?
Anscheinend ist die Idee eines Führungsteams gar nicht so übel.
Allerdings sollte man vielleicht ab und zu einzelne Positionen neu
besetzen, um frische Ideen einzubringen. Das könnte mehr Erfolg
versprechen, als die bisherige Methode, alle mit einem Schlag
auszuwechseln und so auf die gewachsene Erfahrung zu verzichten.
Denn wir wissen ja: Es gibt nur einen Rudi Völler! Und einen Jürgen
Klinsmann!
